Huaorani heute
- Der Tod von Monsignore Labaca -

Alejandro Labaca war ein Kapuzinermönch und Bischof der ecuadorianischen Dschungelstadt Coca und obwohl er von den Huaorani regelrecht ausgenommen wurde, hielt er es für seine Aufgabe, die Huaorani zu missionieren und kehrte immer wieder zu ihnen zurück.

Im Jahr 1984 wurde Taga, der Häuptling der Tagaeri-Huaorani, von einer Gruppe Erdölarbeiter ermordet. Die Tagaeri flüchteten daraufhin tiefer in den Dschungel. Bis heute haben sie nebenbei bemerkt keinerlei Kontakt zu den Weißen und scheuen sich nicht davor, Eindringlinge in ihr Gebiet zu ermorden. Selbst die Huaorani aus Wentaro und Quehueire'ono sprechen von den Tagaeri als „Wilde" und „Unzivilisierte", denen man besser aus dem Weg geht, und lassen keinen Zweifel daran, daß es zu einer blutigen Stammesfehde käme, würden sie jemals wieder von den Tagaeri-Huaos angegriffen.

Als man im Jahre 1987 glaubte, die neue Siedlung der Tagaeri aus der Luft heraus auf einer Lichtung auf einem kleinen Hügel etwa drei Stunden östlich der letzten bekannten Huaorani-Siedlung entdeckt zu haben, ließ sich Labaca mit einem Hubschrauber auf dieser Lichtung absetzen, um einen friedlichen Kontakt mit den Tagaeri herzustellen und erneutes Blutvergießen zwischen den Ölarbeitern und dem Tagaeri-Clan zu verhindern.

Als der Hubschrauber ein paar Tage später an die Stelle zurückkam, um Labaca wie vereinbart wieder abzuholen, fand man seine Leiche mit insgesamt 89 Speerstichen am ganzen Körper. Mit 17 Speeren, die ihm noch aus Hals, Brust, Armen und Beinen aus dem Körper ragten, war er angeblich wie ein Beutetier regelrecht auf den Waldboden genagelt worden.

Seither ist kein neuerlicher Versuch unternommen worden, einen dauerhaften Kontakt mit den Tagaeri-Huaos herzustellen. Lediglich aus der Luft werfen die ecuadorianischen Militärs in regelmäßigen Abständen Taschenlampen, Blechgefäße, Altkleidung und dergleichen über dem Gebiet ab, in dem die Tagaeri vermutet werden, um so vielleicht Hilfsbereitschaft und Freundschaft zu zeigen und die Tagaeri eines Tages eventuell doch noch erreichen zu können.

Die Umstände des Tods von Monsignore Labaca kennt jeder Ecuadorianer, auch wenn sie ansonsten nicht viel über die Huaorani wissen. Gleich zu Beginn unseres Aufenthalts in Wentaro fragte mich Ghazy, ob ich die „Labaca-Story" schon gehört hätte. Natürlich kannte ich sie bereits, was Ghazy zu beruhigen schien...

Und als wir Silvester mittags mit unseren Speeren und Blasrohren am Flughafen in Coca standen, sprach mich ein britischer Ölarbeiter an, der seit 30 Jahren in Ecuador lebt und arbeitet und wie wir auf dem Weg nach Quito war. Ob dieses Blasrohr von den „Aucas" stamme? Als ich bejahe und ihm erzähle, daß wir gerade von den Huaorani zurückkommen, ist seine Neugier geweckt: Ob ich denn nicht wüßte, daß das „Wilde" seien, ob ich auch Affe gegessen und Schrumpfköpfe gesehen hätte, und natürlich, ob ich denn überhaupt wüßte, daß die „Aucas" nicht nur uns Weiße und sich gegenseitig umbringen, sondern auch auffressen... In diesem Zusammenhang bekam ich natürlich auch wieder unweigerlich die Geschichte von Labaca zu hören.

Überhaupt scheinen sich die meisten Ecuadorianer nicht sonderlich für die Leute zu interessieren, dessen Land sie okkupiert haben. In einem Chatraum im Internet traf ich einmal einen jungen Ecuadorianer und fragte ihn, ob ihm der Begriff „Huaorani" etwas sage. Natürlich kenne er die Huaorani, und er betonte ohne daß ich ihn darauf angesprochen hätte, daß er sie auch nur als „Huaorani" bezeichne, so wie er das in der Schule gelernt habe. Was sie denn über die Huaorani in der Schule gelernt hätten, will ich von ihm wissen, und ob er schon einmal bei ihnen gewesen sei? Sie hätten durchgenommen, wer sie sind und wo sie leben, weiter nichts. Und in den „Oriente" gehe er selbstverständlich nicht, das sei nicht „sein Ding"...

Aber auch den Huaorani selbst ist die Tötung Labacas noch in deutlicher Erinnerung. Die französische Ethnologin Laura Rival brachte in den 1990ern eine Stoffpuppe nach Quehueire'ono und forderte die Huaorani auf, ihr zu zeigen, wie sie „damals" mit einem Speer „Krieg gemacht" hätten. Anfangs standen die jungen Huaos mit ihren Kriegerspeeren in den Händen um die Puppe und witzelten verlegen herum. Erst als einer der älteren Indianer für alle hörbar sagte: „Schaut Euch meinen Neffen an! Die jungen Leute machen eben besser Liebe als Krieg!" war der Bann gebrochen und der so Verspottete nahm seinen Speer und rammte ihn im Laufschritt der Puppe in die Brust. Und als ob dies ein Signal für die anderen gewesen wäre, stachen plötzlich alle, die einen Speer in der Hand hatten, wie wild geworden auf die am Boden liegende Puppe ein, während kleinere Kinder Affenblut über sie gossen, um das Ganze noch ein wenig „authentischer" wirken zu lassen...
Während dieses Tumults fielen Sätze wie „Da, seht! Ich habe ihn getroffen!", „Er kriecht auf dem Boden, um den Tod zu suchen!" und „Wir töten ihn wie Monsignore Labaca!"

Die oben beschriebene Szene hat Lisa Faessler in ihrer Dokumentation „Tumult im Urwald" festgehalten. Ich selbst habe niemals einen Huaorani dermaßen aufgewühlt oder wütend erlebt. Im Gegenteil: sie schienen mir einen stoischen Gleichmut zu haben. Es bedarf offensichtlich schon sehr viel, um einen Huao aus dem Gleichgewicht zu werfen; ist diese Hemmschwelle aber einmal überschritten, kennen sie kein Halten mehr.